Modern Dance Reviews
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Wilhelm Groener: Paravent privé

Berlin, 12.6.2005

Eine Kreuzung zwischen Installation und Performance

Paravent privé von Wilhelm Groener

Unter dem Pseudonym Wilhelm Groener arbeiten Günther Wilhelm und Mariola Groener seit 2001 an Projekten, in denen sie Tanz und bildende Kunst verschmelzen. Ihr letztes Stück "Paravent privé" wurde als Tanzperformance angekündigt, es handelte sich jedoch eher um eine Installation mit Schauspiel. Die Zuschauer werden in einen dunklen Raum geführt, in dem sie zunächst nur die Konturen von neun Würfeln mit zwei Meter langen Kanten erkennen. Zum Sitzen gibt es nichts, sie müssen auf dem Boden entlang der Wände hocken oder durch die schmalen Gänge zwischen den Boxen wandern. Nachdem sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnen, erkennen sie, dass die Wände der Würfel halbdurchsichtig sind und in jeder Box eine Person im Schlaf liegt. Die Boxenbewohner tragen Jogginganzüge, Unterwäsche oder Hauskleidung, nur ein Mann liegt splitternackt auf dem Rücken.

Der Raum wird allmählich heller und die Wände der Boxen durchsichtiger. Ihre Bewohner erwachen aus dem Schlaf und beginnen in jeder Box eine kleine Privatperformance. Das Attribut "privat" ist wichtig, denn die zentrale Idee des Stückes ist eine Konfrontation mit Aktivitäten, bei denen niemand selbst beobachtet werden noch anderen zuschauen möchte. Eine Frau zum Beispiel bringt ihre Füße gelenkig zum Mund und ihre Zehen in den Mund. Sie kaut beharrlich an ihren Fußnägeln und der Zuschauer ist verunsichert: Soll er der grässlichen Betätigung zuschauen oder zu einer anderen Box wechseln? Es ist seine Entscheidung, und das ist eine wichtige neue Qualität im Vergleich zur gelegentlich praktizierten Vorführung von peinlich wirkender Szenen auf der Bühne. Mit seiner Bewegungsfreiheit wird dem Zuschauer nämlich eine aktive Rolle aufgezwungen, der er sich nicht entziehen kann. Dieses Gefühl auszulösen war vermutlich ein zentrales Ziel, das die Autoren mit ihrem Konzept erreichen wollten.

Alle Boxen bieten mehr oder weniger private Einblicke in frühmorgendliche Aktivitäten ihrer Bewohner. Von der Morgengymnastik bis zum Anlegen von Makeup wird alles gezeigt, auch die Toilettenbenutzung wird nicht ausgelassen. Bei den meisten Rollen handelt es sich um ein relativ einfaches Schauspiel, nur in zwei oder drei Boxen laufen abstrakte Bewegungsabläufe ab.

Wer ist die vierte Frau?

Im gedruckten Programm werden nur acht Darsteller genannt, darunter drei Frauen und fünf Männer. Vier Boxen werden jedoch von Frauen bewohnt. Wer ist die vierte Frau? Meine Recherchen ergaben, dass es sich mit höchster Wahrscheinlichkeit um Mariola Groener selbst handelt, die weibliche Hälfte des Künstlerduos Wilhelm Groener. Nicht nur dass sie im Stück selbst mitmacht, sie zeigt dabei auch schauspielerische Fertigkeiten, die ich bei einer bildenden Künstlerin nicht erwartet hätte. Die Frage, warum ihre aktive Partizipation im Programmheft verschwiegen wird, erscheint mir auch deshalb interessant, weil das Aufheben der Privatsphäre zum zentralen Thema des Stückes geworden ist.

Paravent privé von Wilhelm Groener Aber zurück zu den Boxen. Ein Bewohner praktiziert jetzt Hathayoga, eine Frau führt endlose Telefongespräche auf Englisch, ein junger Mann mit Kopfhörern swingt im Disco-Rhythmus. Die Zuschauer amüsieren sich zunächst, nach einer Weile reicht es ihnen aber nicht mehr. Einige verlassen sogar die Veranstaltung in der Überzeugung, bereits alles gesehen zu haben. Sie irren, denn das Stück hat eine vordefinierte Dynamik. Eine Akteurin öffnet plötzlich ihre Box und mischt sich unter die Zuschauer. Nach und nach bekommen die Zuschauer Zutritt zum Inneren aller Boxen, die Akteure kontaktieren die Besucher mit Blicken und Gesten. Dann sammeln sie sich alle in einer Box, begleitet von einem zunächst leisen, allmählich sich bis zum Fortissimo steigenden A-cappella-Gesang.

Zum Schluss wird das Licht gedämpft und die Akteure legen sich wieder schlafen. Das wäre ein überzeugendes Ende, wenn jemand noch den Zuschauern mitgeteilt hätte, sie sollten sich jetzt gefälligst leise entfernen. Stattdessen müssen die Akteure wieder konzeptwidrig aufwachen, sich auf einer Seite des Raumes versammeln und sich dort bedanken. Ein Teil des Publikums sieht sie dabei gar nicht, weil zwischen ihnen die Boxen stehen. Wer neue Wege gehen will, hat eben mit Ungereimheiten zu kämpfen.

Zum Abschied wird an die Wand ein Schriftzug projiziert: "Bitte verlassen Sie den Ort so, wie Sie ihn vorfinden möchten." Es war mir nicht klar, ob damit die Zuschauer oder die Performer gemeint sind, deren Boxen jetzt halboffen und bis auf vergessene Kleidungsstücke leer stehen. Aber noch mehr hätte mich interessiert, warum die Mitwirkung von Mariola Groener verheimlicht wird.

Performer: Michelle Alperin, Anna Berndtson, Ben Cottrell, Francisco Cuervo, Mariola Groener(?), Assaf Hochman, Ulrich Huhn, Ulrike Reinbott, Ti To

Paravent privé von Wilhelm Groener

Gesehen: 12.6.05

Autor: Petr Karlovsky