Constanza Macras und Lisi Estaras: No Wonder |
Berlin, 21.08.2005![]() Die in Berlin lebende Argentinierin Constanza Macras ist eine Sondererscheinung der deutschen Tanzszene. Die Meinungen über die Einordnung und Bewertung ihrer Werke gehen auseinander: Einige Kritiker, insbesondere im Ausland, halten Macras für die kreativste und progressivste Choreografin Deutschlands, während andere ihr wenn nicht den künstlerischen Anspruch, dann zumindest jegliche Rolle an der Front des modernen Bühnentanzes absprechen. Entsprechend gespannt habe ich mir das Stück "No Wonder" angeschaut, das von Macras und ihrer Landsfrau Lisi Estaras im Rahmen der Berliner Tanztage 2005 vorgestellt wurde. Zunächst aber eine kurze Vorstellung der Choreografin. Constanza Macras absolvierte in Buenos Aires eine Ausbildung im klassischen Ballett und studierte Modedesign und Dramaturgie. Danach tanzte sie bei mehreren Modern Dance-Kompanien, unter anderem bei dem legendären Merce Cunningham in New York. Seit zehn Jahren lebt und arbeitet sie in Berlin. Lisi Estaras ist im klassischen Ballett ausgebildete Tänzerin und Performerin. Zu "No Wonder", ihrem zweiten Stück mit Macras nach "PORNOsotros", lieferte sie die Hauptidee. ![]() ![]() Nicolas Vlasyslavs Performance verrät sofort seine Ausbildung im klassischen Tanz, sowohl im Solo mit geschmeidig fließender Bodenarbeit als auch in einem Duo mit Lisi Estaras mit häufigem verlangsamten, anstrengenden Heben und Tragen. Vlasyslav tanzt im feinen Röckchen und einer zierlichen Bluse, vermutlich weil in einer Performance über Frauenheldinnen ein Mann nichts zu suchen hat. Sein Stil unterscheidet sich diametral von der rasanten Bewegungssprache Macras’ und weil kein Versuch unternommen wird, für ihre Vokabulare einen gemeinsamen Nenner zu finden, kann man davon ausgehen, dass der Tänzer einen vorgegebenen Rahmen frei ausfüllen durfte. Nur in seinen Texten finden sich die zentralen Rollen wieder: "When I was ten, I had my first period. When I was eleven, I was on TV. When I was 16, I was on MTV." Neben den getanzten Auftritten sieht man Vlasyslav gelegentlich in den Urwaldkronen als Maugli, Affe oder Geier. ![]() Nacktheit wirkt in diesem Stück - anders als in den meisten Choreografien - weder schüchtern noch als ein Gewürz, sondern massiv und erbarmungslos. Sie ist fester Bestandteil der opulenten Bühnensprache. Mit Mut allein würde es nicht funktionieren, es gehört auch eine Portion Reife dazu. Insbesondere Macras kann mit Nacktheit umgehen, ein Brust-Shimmy oder ein nackt am vorderen Bühnenrand im breitbeinigen Stand gesungenes Solo sind für sie völlig natürlich. Obwohl die Performance sonst von anrüchigen Anspielungen nur so strotzt, wird Nacktheit selbst nie im sexuellen Kontext verwendet. Macras gelingt es, diese Elemente auseinander zu halten, obwohl sie beide ausgiebig nutzt. Vor falschen Assoziationen bewahrt den Zuschauer auch die Souveränität, mit der Macras Nacktheit einsetzt. ![]() Fast zum Ende des Stücks tanzt Macras ein ungewöhnliches Solo, in dem sie sich offensichtlich die Aufgabe gab, mit ihrem Gesäß die gesamte Oberfläche eines künstlichen Steines abzutasten. Dies verursacht komplizierte Verrenkungen und interessante Körperbilder. Die Ausbildung im klassischen Ballett hat bei Macras offensichtlich keine Spuren hinterlassen und auch von ihrem Aufenthalt bei Merce Cunningham ist nichts zu erkennen. Stattdessen verwendet sie ein eigenes Vokabular, welches auf Intensität und Temperament setzt. Ihre Tanzpassagen scheinen private Legenden zu haben, die der Zuschauer zwar nicht kennt, deren Existenz er jedoch spürt. Entscheidend ist, dass Macras selbst sie ernst nimmt, sonst ginge die Authentizität verloren und nur leere Bewegungen blieben übrig. Zum Schluss muss ich Farbe bekennen: Zu welchen Teilen der Kritik will ich mich gesellen? Ich meine, dass die Tanzcollage "No Wonder" den Ansprüchen einer modernen Performance genügt und durchaus innovativ ist. Problematisch ist nur die Bemühung der Performerinnen um einen hohen Unterhaltungswert, ob sie zum Selbstzweck wird bleibt jedoch Ansichtssache. Ästhetische Kriterien helfen nicht weiter und die Tatsache, dass nicht jeder grobe Witze, Geschlechtsteile und Wasserbombenspritzen in eigener Nähe mag, trägt nicht zur Sache. Es ist eben eine Besonderheit von Macras, Trivialitäten und Popkultur mit innovativen Tanzpassagen zu mischen. Ein hohes Ansehen für ihre Kreativität verdient die Choreografin vorbehaltlos. Ob sie darüber hinaus Spuren in der Geschichte der Tanzkunst hinterlässt, wird davon abhängen, wie entwicklungsfähig ihr Stil ist und ob sie im Überlebenskampf der "freien" Künstler eine Kompanie von ausreichender Stärke langfristig halten kann. ![]() Bericht: Petr Karlovsky |