Modern Dance Reviews
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Project Bandaloop: Vertical Dance.

Scottsdale (Arizona), 16.10.2005


Project Bandaloop

Die Kompanie "Project Bandaloop" entwickelt seit vierzehn Jahren modernen Tanz auf vertikalen Flächen wie Gebäudewänden und Gesteinsformationen mit Hilfe von Bergsteigerausrüstung. Wo es keine unterstützenden Flächen gibt, tanzen sie an vertikal hängenden Seilen. Am 16. Oktober ist die Kompanie zum 30. Jahrestag des Scottsdale Center for the Performing Arts in der Nähe von Phoenix (Arizona, USA) aufgetreten. Das erste, längere Stück wurde von vier Performern an der Außenwand des Zentrumsgebäudes aufgeführt, das zweite nach einer Pause im Theatersaal.

Project Bandaloop Dort wurden vier Seile von der Decke heruntergelassen, zwei mitten im Publikum und zwei auf der Bühne. Die Besucher konnten sich entscheiden, ob sie ihre Aufmerksamkeit den zwei Tänzerinnen über ihren Köpfen widmen oder den Verquickungen, die zwei Paare an Seilen auf der Bühne vorführten.

Die Performance wurde von elektronischer Musik mit tiefem, wortlosem Gesang begleitet. Drei Tänzerinnen und ein Tänzer in roten Anzügen stützten sich mit Händen oder Füßen an der Wand ab und sprangen in die Luft, führten synchrone Schritte aus und bildeten gravitationstrotzende Körperstrukturen. Dazu nutzten sie ihren ganzen Körper, der nur in der Taille am Seil befestigt wurde. Hinter den bekleideten Körpern, die zwischen grauer Mauer und dem blauen Himmel pendelten, war eine Skulptur aus weißen Luftballons sichtbar, die am Dach des Zentrums befestigt worden war. Sie stammte von dem in Tucson residierenden Künstler Mark Rubin-Toles. Die an unsichtbaren Fäden hängenden Ballons bildeten Formationen, die sich im Wind ständig veränderten und einen attraktiven Hintergrund für die Performance lieferten.

Project Bandaloop Die physikalischen Gegebenheiten schränken bestimmte Ausdrucksmöglichkeiten im Vergleich zum Tanz auf dem Boden ein, sie bieten aber zum Ausgleich neue, ungewöhnliche Optionen, die oft hohe ästhetische Qualitäten besitzen. Dazu gehört insbesondere die Möglichkeit, den Körper in der Luft in fast beliebiger Lage zum Stillstand zu bringen - mit dem Kopf nach unten, schräg gegen die Wand gestützt oder ausgestreckt horizontal schwebend. Auch die Dynamik der Bewegung ist anders als auf dem Boden. Horizontale Sprünge können zum Beispiel verlangsamt wie in Zeitlupe durchgeführt werden. Dazu stützt sich die Tänzerin mit den Beinen von der Wand nicht senkrecht, sondern schräg ab, so dass ihr Körper eine teilelliptische Bahn durchläuft. Dies ist im Vergleich zu Sprüngen auf dem Boden sehr langsam und bietet daher neue Ausdrucksmöglichkeiten. Die Beine und Arme bleiben dabei völlig frei. Insbesondere die synchrone Durchführung horizontaler Sprünge ist ein mächtiges Ausdrucksmittel, dem der "Bodentanz" kaum etwas entgegensetzen kann. Die Einschränkungen ergeben sich zunächst aus der Befestigung der Körper an Seilen, die z. B. Kreisförmige Bewegungen mehrerer Tänzer um eine Achse ausschließt. Auch schnelle Bewegungen über längere Strecken, dem Laufen auf dem Boden entsprechend, sind nicht möglich.

Die Gruppe bezeichnet sich selbst als "aerial-vertical dance troupe", ihre Performances erklärt sie als Tanz in drei Dimensionen. Sie hat ein Faible für große Räume und performt mit Vorliebe in Canyons und natürlichen Gesteinsformationen. Die Mitglieder haben eine Tanzausbildung abgeschlossen und Tanzerfahrungen in verschiedenen Kompanien gesammelt, bevor sie zu "Project Bandaloop" kamen. Die Gründerin Amelia Rudolph tanzt laut eigener Auskunft seit ihrem sechsten Lebensjahr. Ihre Tanzausbildung vollendete sie bei der Hubbard Street Dance Company, danach wirkte sie unter anderem bei Mark Morris und Sarah Elgart. Auf die Idee, Choreografien für vertikale Bühnen zu entwickeln, kam sie nach einer Begegnung mit dem Alpinismus in Sierra Nevada. Die Kompanie existiert seit 1991 und besteht neben Amelia Rudolf aus weiteren 6 Tänzern und Tänzerinnen, 6 Technikern und etwa gleicher Anzahl weiterer Personen (Administration, Musik, Foto/Video).

Project Bandaloop Trotz der einschlägigen Vorgeschichten der Tänzer und dem erklärten Ziel der Kompanie, durch die Überwindung der Zweidimensionalität der Bühne dem modernen Tanz neue Horizonte zu erschließen, weckt die Performance oberflächliche Assoziationen mit dem Zirkus. Handelt es sich überhaupt um Tanz, oder eher um eine Art Akrobatik mit ästhetischen Ambitionen? Weder der akrobatische Charakter der Darbietung noch die Ausleihen von technischen Mitteln aus der Zirkus- und Bergsteigerdomäne können als Kriterien für die "Tanzwertigkeit" einer Performance hinhalten, denn im modernen Tanz sind alle Mittel legitim, die seinem Zweck dienen. Um diesen geht es freilich, die Abgrenzung des "Project Bandaloop" von Unterhaltungsakrobatik fällt dementsprechend bereits nach wenigen Minuten leicht. Nur Fotoaufnahmen täuschen eine Verwandschaft mit dem Zirkus vor, weil jede Position und Bewegung an sich akrobatische Leistung ist. Die mit ihrer Hilfe realisierten Ideen können statische Fotos nicht vermitteln, auch wenn sie so spektakuläre Anblicke bieten wie die auf dieser Seite.

Die nächste Europa-Tour von Project Bandaloop sollen sich die hiesigen Tanzfreunde nicht entgehen lassen, und sie kommt bestimmt. Neben dem 145 Meter-hohen Vasco-da-Gama-Turm in Lissabon, an dem die Gruppe ihre Künste bereits übte, gibt es doch auch in Deutschland eine Vielzahl geeigneter Gebäude. Kulturveranstalter und Kunstagenturen aufgepasst!


Project Bandaloop

Bericht: Petr Karlovsky