Maurice Bejart, Richard Wagner: Ring um den Ring Ballett zur Tetralogie Der Ring des Nibelungen von Richard Wagner Tanz: Staatsballett Berlin, Klavier: Elizabeth Cooper Berlin, Februar 2006 Dieser Text war als eine persönliche Notiz für for the record gedacht, ist dafür aber zu lang geworden. Mit Wagners Musik kann ich normalerweise wenig anfangen. Daran, dass ich trotzdem diese Marathon-Veranstaltung besuchte, ist die Choreografin und Tänzerin Katja Erdmann-Rajski schuld. In ihrem Stück "Frau im Quadrat" kombinierte sie zeitgenössische Musik von Helmut Lachenmann mit Richard Wagners Liedern. Die Verbindung von Tanz mit Musik ist in den Choreografien von Erdmann-Rajski immer reizvoll, das Besondere an diesem Stück war für mich aber der Kontrast zwischen den ungewöhnlichen Klängen der Streichinstrumente, deren Saiten zwischendurch mit Kreditkarten gezupft und gekratzt wurden, und den geschmeidig expressiven Bögen der weiblichen Stimme in Wagners Wesendonk-Liedern. Die Lieder habe ich zum ersten Mal gehört und fand die Melodien in der Gegenüberstellung zu Lachenmanns Musik sehr schön. Erdmann-Rajski, die ihr Publikum oft für Neue Musik sensibilisiert, hat mich damit dazu gebracht, meinen Horizont stattdessen rückwärts zu öffnen und Richard Wagner zurück in die Kategorie "kann ich mir wieder mal anhören" einzuordnen. Als ich kurz danach in Berlin war und abends das Kulturprogramm durchforstete, fiel mir das Ballett von Maurice Bejart ins Auge. Die Zeit war knapp, ich habe es aber geschafft und stand zehn Minuten vor Beginn vor dem fast ausverkauften Opernhaus. An der Abendkasse gab es keine vernünftigen Tickets mehr, eine nette Frau überließ mir aber eine sehr gute Platzkarte, die sie übrig hatte. Es ist schon fast fünf Monate her, mein Gedächtnis verblasste aber kaum. Ich wusste um die Länge des als Vorlage dienenden Opernzyklus "Der Ring des Nibelungen", bin jedoch von einer Straffung auf die übliche Länge eines Ballettabends ausgegangen. Im Programmheft nachschauen konnte ich nicht mehr, sonst hätte ich es mir vielleicht noch anders überlegt: Um 18 Uhr ging der Vorhang hoch und um 22:45 haben wir das Opernhaus verlassen. Auch wenn die Kürzung erheblich war, verglichen mit der ursprünglich sechzehnstündigen Oper, war es doch eine Marathon-Veranstaltung. Es gab eine kurze und eine lange Pause. Nach der zweiten Pause konnte ich das Geschehen nur noch oberflächlich wahrnehmen, bin aber trotzdem geblieben, wie auch - und das überraschte mich ein wenig - fast alle Besucher. Es gab eine Vielzahl Tanzideen und Performance-Elemente zu genießen, bei vier Stunden reiner Bühnenzeit ist es anders auch nicht möglich. Das wagnersche Donnern und Pauken hat mich nicht erschlagen, weil es regelmäßig von zarten Klängen unterbrochen war, wie es der Meister geschickt zu arrangieren wusste. (Eine permanent hohe Lautstärke kann man vielleicht bei Yosuke Yamashita ertragen, bei Wagner aber mit Sicherheit nicht.) Nach zweieinhalb Stunden ließ mein Wahnehmungspotenzial deutlich nach. Nach drei Stunden rüttelten mich Melodien mit interessanten Wendungen in einer leisen und feinfühligen Passage wieder wach, meine Aufnahmekapazität war aber inzwischen so abgestumpft, dass ich kein scharfes Bild beibehalten konnte. In der letzten halben Stunde steigerte sich die Dramatik und Lautstärke nochmals, möglicherweise mit dem Hintergedanken, die Aufmerksamkeit der Besucher am Abdriften zu hindern. Abwegig wäre diese Sorge keineswegs. Die zugrunde liegende Geschichte, die ich - wie vermutlich die meisten - nicht im Detail auf der Bühne nachzuvollziehen versuchte, rechtfertigt die pathetische Expressivität allemal, wenn man es so will. Heldentum und Verrat, Mord und leidenschaftliche Liebe setzen überschwängliche Affekte bei Göttern und Menschen in Gang. Passend dazu wählte Bejard spektakuläre Mittel von schweren historischen Kostümen, die jegliche Tanzbewegung unterminierten, bis zu Anleihen aus dem Zirkus. Insbesondere Szenen mit extrahohen Stelzen, die auch beim Kampf mit einem überdimensionalen Wurm zum Einsatz kommen, prägten sich ins Gedächtnis. Bejard beschränkte sich aber auf Mittel, die man als "klassisch" bezeichnen kann. Die Bühne bleibt vom Wasser und Feuer verschont und alle Effekte werden ausschließlich mechanisch erzielt, mit Menschengeschick und ohne (sichtbaren) Einsatz von Gerätetechnik und Projektion. Alles andere wäre ein Stilbruch, denn zu einer germanischen Saga passt die moderne Bühnentechnik wenig. Für mich persönlich bestätigte der Abend zunächst, dass mir das Pathos wagnerscher Musik tatsächlich zu viel ist. Andererseits kann die Musik die Zuhörer für mehrere Stunden am Stück packen, das ist eine besondere Leistung. Ich bereue die Entscheidung nicht, denn es hält den Verstand und Geschmack gesund, gelegentlich über den Tellerrand zu schauen statt den eigenen Konsum darauf zu beschränken, was das Herz hochschlagen lässt. Katja Erdmann-Rajski freut sich sicherlich, wenn ihre Stücke eine solche Auswirkung auf die Besucher haben. Sie hätte aber vermutlich nicht gedacht, dass sie jemanden von der Moderne zum Wagner bewegen würde.
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