Modern Dance Reviews
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Seasons of love: Palucca Tanz Studio in einer Choreografie von Mark Sieczkarek

Fraglicher Versuch um die Wiederbelebung romantischer Lieblichkeit

Dezember 2005 bis März 2006, Dresden

Ein Jahr nach der ersten Koproduktion des Staatsschauspiels Dresden mit dem Palucca Tanz Studio wurde die zweite gemeinsame Aufführung der beiden Einrichtungen vorgestellt. Mark Sieczkarek choreografierte "Seasons of love" für drei Männer und zehn Frauen der Absolventenklasse der Palucca Schule. Seine Choreografie stellt in Konzept, Stil und Tanztechnik einen Gegenpol zum Vorgängerstück "Drusch" von Rodolpho Leoni dar, welches im Dezember 2004 vorgestellt wurde.

Über die spärlich beleuchtete Bühne verteilt liegen Steinattrappen. Zum a-cappella gesungenen Kyrie eleison treten die Tänzer und Tänzerinnen in einer Karawane an, im wiegenden Gang und sich um ihre Achse drehend. Die Frauen tragen schwarze knöchellange Kleider und die Männer erscheinen in dunklen Hosen und Hemden, alle tragen schwarze Hüte. Sie bewegen sich langsam fort, einzelne Tänzer legen sich zwischendurch auf den Boden. Bereits die Eingangsszene offenbart den von Sieczkareks gewählten Stil und seine Ästhetik und bestimmt das Tempo, welches mit Ausnahme von Soli und Duos bis zum Schluss unverändert träge bleibt.

Die zentralen Gestaltungsmittel, mit dessen Hilfe der Choreograf die Wahrnehmung allumfassender Harmonie und Liebe erzeugen möchte, sind Gruppenszenen mit scharf gezeichneten Silhouetten und langsamen, synchronen oder zeitversetzten Armbewegungen. Die Bühnenbeleuchtung wird von gedämpftem, diffusem Licht geprägt, nur gelegentlich werden die Konturen von Gruppenbildern gezielt ausgeleuchtet. Sieczkareks sparsame Ästhetik betont die Klarheit visuellen Eindrucks, trotz ihrer Eindringlichkeit läuft sie jedoch ins Leere. Die Verbannung von Spannung und Vieldeutigkeit und die konsequent niedrig gehaltene Komplexität der Bewegung lassen den Zuschauer öfters auf die Uhr blicken. Der Vergleich mit "Drusch" von Rodolpho Leoni drängt sich auf, einem von Bewegungsreichtum so strotzenden Stück, dass man es ohne weiteres zweimal hintereinander genießen könnte.

Nur in den Soloeinlagen und Pas-de-Deux wird die blasse Choreografie durch dynamische Passagen mit Witz und Lebensfreude erhellt. Die stilistische Distanz zu den Gruppenszenen deutet auf eine kreative Beteiligung der Tänzer und Tänzerinnen bei ihrer Gestaltung hin. Insbesondere zwei Tänzerinnen glänzen hier, die meine Nachbarin als Maggie M. Nicolai und Undine Förster identifizierte. Nicolai tritt souverän und in vielfältigen Rollen auf, während Förster durch die Reife des Ausdrucks auffällt.

Die Bemühung des Choreografen um Bildhaftigkeit in den Gruppenszenen streift gefährlich nahe am Klischee vorbei. Die zur Auflockerung der schwermütigen Atmosphäre eingebauten erheiternden Szenen könnten diesen Eindruck nur abschwächen. Manche sind einfallsreich, zum Beispiel ein sich dominoartig fortpflanzender, chaotischer Umsturz der auf dem Boden sitzenden Körper. Andere bewirken jedoch eher ein Schulterzucken, wie etwa das tingeltangelartige Schwingen von Hüten vor den Gesichtern der Tänzer, die sich seitwärts am vorderen Bühnenrand bewegen. Das Stück besitzt keine Gesamtdynamik und endet unvermittelt, ohne eine Vollendung oder einen Abschluss erkennen zu lassen.

Als Musikbegleitung hat Mark Sieczkarek überwiegend sentimentale Popsongs im schleppenden Tempo gewählt. Das zur Eröffnung gespielte Kyrie ist interessanterweise das einzige Musikstück mit weiblichen Stimmen, bei allen darauf folgenden Schnulzen setzt der Choreograf auf männliche Sänger. Insbesondere Rufus Wainwright hat es ihm angetan, denn von seinen schläfrig und mit halb geschlossenem Mund vorgetragenen Songs spielt er etwa sechs Stück. Zwischen den reizlosen Songs wird das Wort "Liebe" in verschiedenen Sprachen deklamiert, es klingen simulierte Windgeräusche und läuten die Glocken der Frauenkirche. Nach jedem Song hegt man die Hoffnung, dass es so nicht weiter gehen kann, es geht aber doch - bis zum bitteren Ende. Die einzige Dynamik besteht aus dem Aufdrehen der Lautstärke nach einer Stunde.

Rückfall in die Sentimentalität

Im Faltblatt zum Stück hat Mark Sieczkarek sein Konzept mit einer "Sehnsucht nach schönen Dingen" begründet. "Ich habe nichts gegen unterhaltsame Stücke, mit Poesie und wunderschönen Bewegungen. Ich möchte das Publikum in ein Yellow Submarine entführen, wo es ein gutes Gefühl hat", schreibt er. Sicherlich sind positive Stimmungen und schöne Bilder auch im modernen Tanz kein Tabu, alleine können sie jedoch keine Choreografie tragen. Dass bei diesem Versuch die Palucca Schule mitwirkt ist eine Ironie, denn gerade Gret Palucca hat die Befreiung des Ausdruckstanzes von Gefälligkeit geprägt. Ihre beflügelte Aussage "Ich will nicht hübsch und lieblich tanzen", die zum Motto eines Dokumentarfilms von Konrad Hirsch und Ralf Stabel über die legendäre Tänzerin geworden ist, drehte Mark Sieczkarek ins Gegenteil um.

Der Rektor der Palucca Schule, Prof. Markwart, bekundete in seinem Vorwort im Begleitheft zu "Seasons of love" die Bemühung, mit zeitgenössischem Tanz in Dresden eine länderübergreifende Wirkung wieder zu erobern. Gegen die agile Konkurrenz von Leipzig und Berlin anzukommen wird schwierig. Institutionen vom Bekanntheidsgrad des Staatsschauspiels und der Palucca Schule entfalten eine starke Außenwirkung und sollten ihre Zusammenarbeit sehr sorgfältig planen, denn ihre ersten zwei Koproduktionen zeigen, dass Qualitätsausschläge in beide Richtungen möglich sind.

Mitwirkende Tänzer (Studierende der Absolventenklasse 2005/2006)

Sarah Agde, Juliane Bauer, Undine Förster, Johanna Gebauer, Katrin Hansen, Soo-Jin Lee, Maggie Mariam Nicolai, Sophia Rändler, Rieke Steierl, Weinina Weilijiang, Timo-Felix Bartels, Christian Schreier, Robert Viehweg

 

Kritik: Petr Karlovsky