Modern Dance Reviews

Ostrale 2009

September 2009, Ostrale-Gelände Dresden

Marcel Leemann: Physical Dance Theater
Rolf Dennemann mit Artscenico: Lapanchina
Julia Vitalis: Nichts, was dazwischen ist

Den Organisatoren der diesjährigen Ostrale unter Leitung von Andrea Hilger ist eine ausgewogene Mischung von verschiedenen Kunstarten gelungen, deren Anspruch von sehr leicht bis mittelmäßig anstrengend reichte. Auf dieser Seite werde ich lediglich drei ausgewählte Tanzstücke kurz vorstellen, über weitere Veranstaltungen und Kunstwerke werde demnächst anderswo berichten.

Nicht die Auswahl der vorgestellte Kunst, sonder die Gesamtkonzeption macht Ostrale so attraktiv. Der Besucher erlebte Kunst auf unterschiedliche Art und Weise, nebenbei und konzentriert, geplant und zufällig. Er begegnete den Künstlern, gelegentlich durfte er sogar mitmachen. Während wir in der Kantine unsere Möhren-Ingwer-Suppe löffelten, spielte Martin Sommer in der anderen Ecke mit Leidenschaft und Witz das Stück Stillleben mit Kätzchen. Als wir später an der Theke im Eingangstrakt einen Milchkaffee tranken, machten wir Bekanntschaft mit dem Niederländer Rob Sweere, der während des Festivals im Gebäude wohnte und sich über die Musiker beschwerte, die auch nachts mit ihrem Lärm nicht aufhörten. Für den nächsten Tag lud Rob Sweere uns zu seiner Performance Silent Sky Project, bei der wir uns auf Betonblöcke neben dem ehemaligen Schweine- bzw. Schafstall legten und für eine halbe Stunde zu Performern wurden, während uns Rob aus der Luft fotografierte.

Die Intention, Kunst zum Erleben quasi beiläufig zu präsentieren, war möglicherweise schuld daran, dass die Ausschilderung einzelner Veranstaltungen gelegentlich auf der Strecke blieb. Zum Beispiel Lapanchina von Artscenico wurde im freien Gelände getanzt (damit kam das Stück ohne Einlasskontrolle aus, obwohl Tickets verkauft wurden), es wurde jedoch fast nur von denjenigen Besuchern entdeckt, die zufällig vorbei gegangen waren.

Deutlich Kritik verdienen die Designer der Webseite "www.ostrale-zentrum.de". Sie wird anscheinend von einer fehlerhaften TYPOlight-Installation generiert, W3C HTML Validation Service fand 12 Fehler. Einige davon sind so schwerwiegend, dass Firefox die Seite nicht öffnen kann. Zweitens ersetzten die Entwickler das CSS-basierte Scrollen für DIV-Elemente durch eine JavaScript-Funktionen. Die Bedienungsfreundlichkeit leidet, siehe Ostrale 2009 - Künstler: Zum Ende der Liste gelangt man nur mit der Maus und es dauert ewig. Mit einem üblichen Scrollbalken hätte der Benutzer die Wahl, wie schnell bzw. mit welchen Schritten er scrollt. Warum der Umstand? Vermutlich fanden die Designer rote Pfeilspitzen schöner als einen öden Scrollbalken. Das passiert oft, wenn Designer ihr Interesse über das der Benutzer stellen. Mit etwas Geduld kommt man trotzdem, wohin man möchte, das Fehlen einer standardkonformen Index-Datei ist schlimmer.

 

Marcel Leemann mit Physical Dance Theater: Nebel-Leben

Choreografie: Marcel Leemann, Musik und Tontechnik: Silas Bieri
Tänzer: Azusa Nishimura, Silvya Rijmer, Ismael Oiartzabal, Marie-Caroline Hominal, Emma Ribbing, Christos Strinopoulos, Mariusz Jedrzejewski, Joshua Monten

Marcel Leemann: Physical Dance Theater

Der Text, den der Choreograf auf seiner Webseite liefert, half mir beim Zugang zum Stück wenig. Er schreibt, dass Nebel nicht nur verhüllt, sonder auch die Möglichkeit einer Enthüllung eröffnet, und dass sich Autor, Choreograf und Musiker auf eine Recherche begaben und Dinge offenbarten, die sie sonst nicht preisgeben würden. Mag sein. Wir erlebten eine erfrischende Collage aus Anspielungen auf Interaktionsschemen von Teenagern: Rivalität und Dominanz, Gruppenzwang, Aggressivität und Langeweile. Beziehungsstereotypen gehören ebenso dazu und weil es um Teenager geht, dürfen Bewegungsmuster aus der Popkultur nicht fehlen.

Das ist aber nur der Rahmen für eine exzellente tänzerische Leistung mit vielen erheiternden Duos und Soli. Langweile kam mir nie auf, nur der Nebel war mir stellenweise zu viel. Insbesondere dort,

wo er schnelle Bewegungen verdeckte, die ich gern genauer gesehen hätte. Hier und da hat sich jeder Zuschauer eine Drossel für die Nebelmaschine gewünscht, dessen bin ich mir sicher.

Marcel Leemann: Physical Dance Theater

 

Rolf Dennemann & Artscenico: Lapanchina

Choreografie: Rieke Steierl
Tanz: Rieke Steierl und Noriko Melchior

Rolf Dennemann & Artscenico: Lapanchina

Im Bild links sitzen zwei Zuschauerinnen auf zu riesigen Insekten umgestalteten Autoreifen. Es fällt ihnen nicht mal auf, dass es sich um Kunstexponate handelt.

Das Stück wird normalerweise von drei Tänzerinnen getanzt, an diesem Nachmittag erschienen nur zwei. Es war schrecklich kalt und ungemütlich. Die elastischen blauen Stoffe (unten) verwendet Artscenico zumindest seit 2005. Damals habe ich sie in der alten Kokerei Hansa in Dortmund gesehen, mit Laura Della Longa beim Tanz im Wasser, nachts im Scheinwerferlicht. Es war spektakulär.

Rolf Dennemann & Artscenico: Lapanchina

 

Julia Vitalis: Nichts, was dazwischen ist

Ein der ernsthaftesten Stücke auf Ostrales 2009 und interessanterweise ein Thema, welches hier mehrmals unabhängig verarbeitet wurde. Es geht um ein Gefängnis, echtes oder symbolisches, und um die Auswirkung eines langen Freiheitsentzugs auf

das Bewusstsein, die Perzeption der Realität und die Fähigkeit, eigene Chancen überhaupt gedanklich zu akzeptieren bevor sie wahrgenommen werden können. Ein kurzes, aber substanzielles Stück, schwer für die Performerin wie für die Zuschauer.

Julia Vitalis: Nichts, was dazwischen ist

Petr Karlovsky